Die Jahre, (Foto: © Candy Welz)

Die Jahre

"Alle Bilder werden verschwinden." Mit diesem Satz eröffnet die Autorin Annie Ernaux ihr autobiografisches Portrait »Les années«, das 2008 erstmals in Frankreich erschien. Was wiegt die Erinnerung und wie lange können wir sie bewahren? Und wo verbleiben die Erfahrungen, die wir gesammelt haben? Ernaux schlägt in ihrem Werk einen zeitlichen Bogen, der vor ihrer eigenen Geburt im Jahr 1940 einsetzt und über ihre Kindheit in Yvetot, Jugend und das Erwachsenwerden, den anschließenden Arbeitsalltag als Lehrerin bis in die Gegenwart einer mittlerweile zweifachen Mutter und erfolgreichen Schriftstellerin hineinreicht. Dabei schaut sie sich selbst und ihrer Generation kompromisslos über die Schulter und macht explizite Doppelbödigkeiten aus: Politisches Interesse entlarvt sich schon bald als Verdrossenheit und wird aus dem privaten Alltag verdrängt. Ernaux hat mit ihrer literarischen Stimme, die seit einigen Jahren auch in Deutschland Beachtung erfährt, weibliche Wahrnehmung und Lebensrealität im Verhältnis zu den jeweiligen politischen und sozialen Entwicklungen präzise ausformuliert. Während sich europäische Welt- und Konsumgeschichte vollziehen, nimmt die Rolle der Frau neue Gestalt an: »Zum ersten Mal stellte man sich das Leben als Marsch in Richtung Freiheit vor. Ein typisches Frauengefühl war im Begriff zu verschwinden – das einer naturgegebenen Unterlegenheit.« Wirklich restlos? Wie sehr werden wir über Geschlecht und Herkunft beurteilt? Welche Charakteristika des eigenen Milieus machen wir geltend und welche lassen wir unter den Tisch fallen? Welche Luxusartikel und Produkte halten wir für unentbehrlich, da sie unserer Identität Ausdruck verleihen? Und woran bemisst sich, ob und wie eine Frau gesellschaftliche Anerkennung erhält? Indem Ernaux das eigene Ich radikal zum Untersuchungsgegenstand macht, die biografischen Widersprüche und Brüche unsentimental nachzeichnet, lässt sie uns an keiner Stelle darüber im Ungewissen, wie viel gesellschaftliche Anpassung an neue Milieus und Lebensumstände es weiterhin bedarf, welche Möglichkeiten sich abzeichnen und warum der Wechsel zwischen sozialen Klassen ohne Selbstverleugnung dennoch nicht zu machen ist. Und so stellt sie den Leser*innen mit ihrem Lebensbericht eine universelle Chronik zum eigenen Abgleich zur Verfügung.

Jan Neumann, seit 2013 als Hausregisseur mit vielfältigen Inszenierungen in Weimar vertreten, gelingt in seinen Arbeiten ein ebenso einfühlsamer wie humorvoller Zugang: Es darf über die Tiefschläge gelacht und getrauert, Glücksmomente dürfen bezweifelt und gefeiert werden. Gemeinsam mit dem Ensemble wird er, ausgehend von Annie Ernaux‘ außergewöhnlichem Zeitdokument, eine Erzählung über Weiblichkeit und Scham, Emanzipation und sexuelle Ohnmacht, über Klassenzugehörigkeit, gesellschaftliche Grenzen und persönliche Chancen entwickeln.

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Deutsches Nationaltheater, Theaterplatz 2, Tel. 03643 755334 www.nationaltheater-weimar.de
e-werk weimar (Kesselsaal)

05.05.2024: 19.30 bis 21.30 Uhr

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