Der Goseradweg - Auf den Spuren eines fast vergessenen Getränkes

Die Städte Halle und Leipzig verbindet vieles: eine S-Bahn-Linie, ein ICE, eine Autobahn, eine Bundesstraße, zwei Flüsse, mehrere Landstraßen, unzählige Feldwege und Radwege verknüpfen sich zu einem engmaschigen Netz. Abseits der großen Wege verlaufen kleine Pfade wie der Elsterradweg, die alte Salzstraße oder der Jacobsweg. Inmitten dieses Netzes gibt es einen Weg, der sich um ein Getränk rankt, welches in Halle beinahe vergessen ist, welches man aber an der Pleiße mit großer Begeisterung trinkt. Gemeint ist die Gose.

Die Gose ist ein obergäriges, leicht säuerliches und einen Hauch salzig schmeckendes Bier. Ursprünglich wurde es in Goslar im Harz gebraut, durch welches auch die namensgebende Gose fließt. Vom Harz aus verbreitete sich das ‚Goslarisch Bier‘ im Anhaltinischen und im Sächsischen. Vor allen in den Städten Halle, Dessau und Leipzig wurde das süffige Gesöff heimisch. Doch besonders die Sachsen sprachen dem Getränk zu, so sehr, dass es dem Dörfchen Döllnitz zu einem beachtlichen Wirtschaftsboom verhalf. Auf Grund von Zöllen und Steuern während der napoleonischen Kriege und des Zollanschlusses Sachsens an Preußen im Jahr 1820, dem Anhalt nicht beigetreten war, war der Goseimport nach Leipzig für viele Brauer unrentabel. Da sprang der Braumeister Johann Philipp in die Bresche und begann vor den Toren der Stadt Halle, aber im schon im Sächsischen gelegenen Döllnitz die Gose zu brauen. In kurzer Zeit entstanden drei Gosebrauereien in dem Dörfchen, das von nun an Leipzig, Halle und Umgebung mit dem Bier versorgte. In Erinnerung an diese engen Handelsbeziehungen und weil die Gose die vielen Wirren, Kriege, Umstürze, Gesellschaftssysteme und Handelsschranken überlebt hat, windet sich der Goseradweg von Halle nach Leipzig nach Halle und in die Umgebung.



Der offizielle Start des Weges auf der halleschen Seite ist im Biergarten „Wasserski“ auf dem Gelände des Wasserskiclub Hufeisensee e.V. Die kleine Gaststätte, die man sich am besten als eine gelungene Mischung aus Sportvereinsklause, Gartenlokal und Zeltplatzwirtschaft vorstellen kann, liegt überraschend idyllisch direkt am Ufer des Sees. Da es noch früh am Tag ist und wir die zwölf Stationen bis Leipzig und die damit verbundenen 45 Kilometer schaffen wollen, verzichten wir erst einmal auf die Gose. Vom Hufi geht es dann über eine kleine Nebenstraße nach Kanena, und dort müssen wir auch gleich das erste Mal fragen und stellen fest: „Den Goseradweg kennt hier keiner.” Wir fahren wortwörtlich mit der Kirche ums Dorf und erregen bei den Einheimischen, die ihren unterschiedlichen Sonntagsbeschäftigungen nachgehen, Mitleid. „Wo wollt ihr denn hin?“, werden wir mehrmals gefragt. „Nach Leipzig auf dem Goseradweg, der muss hier irgendwo sein, kennen Sie den? Die nächste Station ist Dieskau“, antworten wir. Ratloses Schulterzucken und „Keine Ahnung“ sowie intensives Kartenlesen im Goseradwegführer bringen uns nicht weiter. Die, wie sich später herausstellen sollte, eigentlich ganz guten Karten versagen zu Beginn. Nun ja der groben Richtung folgend fahren wir den einzigen Weg, den wir sehen, und siehe da, meine Freundin ein Gosefan und Schilderentdeckerin vor dem Herrn, erblickt am Rande eines wie es scheint alten LPG-Geländes das entscheidende Hinweisschild. Es geht da lang. Cool. Wir radeln frisch und fröhlich übers Feld und erreichen nach kurzer Zeit das Örtchen Dieskau.



Das Dorf hat außer einem S-Bahnhof doch einiges zu bieten. Ein adretter Ortskern sowie ein Schloss samt Schlossgarten locken Tagesbesucher wie uns an. Das Schloss besitzt auch ein Schlosscafé, welches die zweite Station auf dem Wege ist. Hier kann man gemütlich draußen oder drinnen sitzen und sich bewirten lassen. Obwohl die Gerichte eine ambitionierte Küche erahnen lassen, machen wir nur einen kurzen Fotostopp, denn wir haben erneut Zeit verloren, da wir uns auch durch den im englischen Stil angelegten Schlossgarten fragen mussten. So verlassen wir Schloss Dieskau auf verschlungenen Pfaden und wandeln uns wundernd auf unseren Rädern der nächsten Station entgegen. Der Ausgang aus dem Park in Richtung Döllnitz gelingt uns mit ständigem Fragen aller uns entgegenkommenden Spaziergänger. Den Goseradweg kennt keiner, aber dafür alle die Richtung nach Döllnitz, dem Ursprungsort der Gose. Am Feldrain entlang, zwischen rotbäckige Äpfel, grüne Birnen und violette Pflaumen tragenden Obstbäumen erreichen wir Döllnitz.

Die Beschilderung wird nun langsam besser und so kehren wir im Gasthof Bad ein. Beim Gosewirt bestellen wir  unsere erste Gose und kommen schnell mit anderen Radfahrern ins Gespräch über Radwege, Urlaube, Orientierung und Kameras samt herunterzuladender Software. Ein Radfahrpärchen fuhr die Tour in die andere Richtung, also nach Halle. Die beiden sind Rentner, aber mit Tablet-PC, Navigationssystem, GPS-Ortung und wahrscheinlich auch Satellitentelefon bestens ausgerüstet. Vielleicht sind sie dank dessen auch schon am Ende ihrer Radfahrausfluges und nicht wie wir am Anfang. Das wichtigste ist aber die Gose.

Meine im Biergarten stetig Gose schlürfende Begleiterin pichelt das Getränk mit glänzenden Augen in sich hinein. Für mich ist es das erste Mal. Da die pure Gose nicht jedermanns Geschmack ist, ist es üblich, diese mit einem Sirup zu versetzen und so dem eigenen Geschmack anzupassen. Also ist meine mit Holunderblütensirup bereichert und mundet wirklich vortrefflich. Die Gose ist spritzig, erfrischend und leicht bekömmlich. Während wir uns bei den Altvorderen fröhlich im Biergarten sitzend noch Ratschläge holen, verfliegt die Zeit, und die Gose verdunstet. So dass wir, überrascht ob der späten Stund, bezahlen und uns bei dem Preis von 2,90 Euro für beide kleine Gosen ein ungläubiges Schmunzeln nicht verkneifen können. Nun geht es leicht beschwingt die Dorfstraßen entlang.



Wir verlassen Döllnitz gen Burgliebenau, überqueren zum ersten Mal die Weiße Elster, lassen die vierte Station „Grüne Aue“ rechts liegen und fahren am Ufer des Wallendorfer Sees, den von hier an gut ausgeschilderten Radweg in Richtung Löpitz. Von 1971 bis 1991 wurde hier Tagebau betrieben, was auch der Laie erkennt. Aber die Renaturierung ist weit fortgeschritten, so dass man zahlreiche Wasservögel und wiederkehrendes unberührtes Wachstum der Natur beobachten kann. Das Ganze macht einen idyllischen mecklenburgischen Eindruck, immer mal unterbrochen von Badestellen und Beachvolleyballfeldern. Überrascht über solch unerwartetes Idyll kommen wir in Löpitz an. Auch hier haben sich reiche Herren in der Vergangenheit ein Schloss bauen lassen. Leider hat die Gaststätte „Zum Schloß Löpitz“ heute eine geschlossene Gesellschaft zu Gast. Aber das malerische bauliche Kleinod samt quietschigem Garten kommt auf unsere Wir-kommen-wieder-Liste.

So geht es weiter am See entlang nach Wallendorf, wo ebenso eine Überraschung auf uns wartet. Erstens nimmt der Rad- und Wanderverkehr deutlich zu und zweitens ist der Weinkeller der Familie Pomian ein echter gastronomischer Tipp. Leicht hungrig kehren wir ein, begutachten das steinerne, kühle Gewölbe im Inneren des Restaurants und nehmen dann aber draußen Platz. Die Sonne scheint, die nächste Gose mundet ebenso wie der liebevoll angerichtete Salat für Madame Gose und mein Schafskäse auf warmem Tomatensalat steht dem in nichts nach. Ein Blick auf die überschaubare Karte, die Teller der anderen Gäste und unser Gaumen verraten uns, dass hier mit Liebe gekocht wird und dass man als Kulinarius diesem Weinkeller durchaus öfter einen Besuch abstatten könnte.



Frisch gestärkt geht es dann weiter an den Ufern des Walldorfer und Raßnitzer Sees entlang dem Lauf der alten Luppe. Die Landschaft besteht aus Wiesen, Feldrainen, Feldern und immer wieder kreuzt ein Gewässerchen unseren Weg. Vorbei an der Drei-Eichen-Kreuzung gelangen wir nach Zweimen. An der alten Luppe können wir Bisamratten und echte dörfliche Abgeschiedenheit beobachten. Wer hätte das gedacht, dass zwischen A14, A9 und dem Einkaufspark Nova Eventis solch eine Ruhe herrscht. Wir definitiv nicht und so können sich unsere Augen an den mittelalterlichen Dorfkernen, alten Gehöften, Scheunen, Dorfweihern und jahrhundertalten Eichen nicht sattsehen. In Zweimen machen wir ebenfalls nur einen Fotostopp, da der Nachmittag schon weit weit vorangeschritten ist. Wie anders zu erwarten, steht im nächsten Ort, Dölkau, wieder ein Schloss, aber dort kann man nicht einkehren, da es anscheinend von Privatleuten bewohnt wird. Durch Obstbaumalleen fahrend unterqueren wir die A9 und sind nun sozusagen auf der Leipziger Seite. Die elfte Station ist das Gasthaus Klein Liebenau.

In einem Biergarten in einem Gehöft, kann man hier unter Bäumen sitzend das alte Pflaster bewundern und natürlich Gose genießen, was wir nicht machen, denn wir wollen in der Domholzschänke erneut zuschlagen. Das Domholz ist ein etwa 50 Hektar großer Wald, den Kaiser Otto II dem Merseburger Bischof Giselher im Jahr 974 schenkte. Die Merseburger ließen hier auch die ersten Gebäude errichten und so kam 1928 auch die Domholzschänke dazu. Dieser schon recht große Biergarten ist ein beliebtes Ausflugsziel der Leipziger.

Es fühlt sich ein bisschen an wie in Bayern. Es gibt Gegrilltes, Eis, Salate und natürlich Gose. Jetzt soll es auch für uns eine große Gose sein, denn wir beschließen, die Tour hier zu beenden. Während wir fröhlich süffeln, geht die Sonne langsam unter. Um uns herum herrscht ein fröhliches Treiben, aber die Radfahrer machen sich langsam los. So auch wir. Wir haben noch 11 Kilometer vor uns: Das offizielle Ende des Goseradweges ist die Gosenschänke „Ohne Bedenken“ in Leipzig-Gohlis. Da wir diese aber kennen und es in der Domholzschänke nicht nur ein Göschen war, fahren leicht tüdelig heim.

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Weitere Infos zum Goseradweg gibt es hier:
www.leipziger-gose.com
www.ritterguts-gose.de
www.goseanna.de