Der Osten als Landschaft der Veränderungen

Das Festival „Osten“ ist ein Festival für Kunst und gegenseitiges Interesse. Es erforscht und feiert "den Osten" als Landschaft der Veränderungen für Mensch, Natur und Zusammenleben und fand 2022 zum ersten Mal statt. Auch in 2024 wird Bitterfeld-Wolfen wieder zum Schauplatz des Festivals. Und bereits in diesem Jahr, vom 30. Juni bis 2. Juli 2023, lädt das Festivalteam zum gemeinsamen Auftakt und zum Austausch über die Umbrüche in Bitterfeld-Wolfen in das ehemalige Kino in Wolfen ein.

Besucherinnen und Besucher erwartet ein vielseitiges Kultur-Programm aus Workshops, Performances, Filmvorführungen, einem Konzert und vielem mehr. Redakteur Martin Große sprach mit Anne Diestelkamp und Martin Naundorf, den Verantwortlichen der diesjährigen Veranstaltung.

Das Festival „Osten“ wird 2024 erneut stattfinden. War dies von Anfang an geplant oder gab es bestimmte Entwicklungen, Ideen, Auslöser dafür das Festival weiterzuführen?

Anne: Das Festival ist auf Initiative von Christine Leyerle, Ludwig Haugk und Aljoscha Begrich entstanden. Die drei Kulturschaffenden aus Berlin sahen die Notwendigkeit, aus den Ballungszentren rauszugehen und Kultur dort zu stärken und Akteur/ -innen zu vernetzen, wo die Grunderfahrung vielfach die des Rückbaus und der Schließung ist. Die Idee, etwas auszubauen, was bleibt, war schon immer da. Die Entscheidung, in die Planung für eine weitere Festivalausgabe zu gehen, hängt natürlich unter anderem mit der großen positiven Resonanz des Festivals 2022 zusammen.

Das Festival lädt dazu ein am Beispiel von Bitterfeld-Wolfen aus künstlerischer Perspektive den Osten neu zu entdecken. Was kann man sich darunter vorstellen?

Martin: Bitterfeld-Wolfen ist ein spannendes Beispiel für Schicksal und Chancen einer Region mit Transformationsgeschichte. Hier konzentrieren sich Entwicklungen und Erfahrungen, die auch andere Regionen in Ostdeutschland erlebt haben: von der Industriegeschichte über Abbau, Arbeitslosigkeit und Wegzug nach der Wende bis zur Suche nach neuen Perspektiven. Mit dem Festival suchen wir nach neuen Erzählungen, die es für eine Region im Wandel geben kann. Dabei kann Kunst helfen: In künstlerischen Prozessen wird schließlich unkonventionell gedacht.



Welche Projekte/ Veranstaltungen haben Ihnen 2022 am besten gefallen und erleben diese eine Neuauflage?

Martin: Ein Highlight war das von Ari Benjamin Meyers ins Leben gerufene Werksorchester, das an die musikalische Tradition des Arbeitersinfonieorchesters anknüpfte. Junge Musikschüler/ -innen haben Erwachsenen hier ihre Instrumente beigebracht. Klassisches Lernen umgekehrt. Zusammen sind sie zu einem Orchester gewachsen. Die Begeisterung für die Musik lebt in vielen Beteiligten weiter; einige lernen jetzt fest in der Musikschule.

Welche Projekte/ Veranstaltungen haben dem Publikum 2022 am besten gefallen und erleben diese eine Neuauflage?

Anne: Die Resonanz und das Interesse war bei vielen Veranstaltungen groß, ob beim Schubkarren-Parcours durch den Bitterfelder Kulturpalast oder beim Werksorchester. Besonders die vielen Gesprächsrunden und Ausflüge, haben gezeigt, dass es den Wunsch gibt, in den Austausch miteinander zu kommen. Diese Anlässe für Begegnung wollen wir auch in Zukunft schaffen. Wir hoffen außerdem, dass wir im Herbst ein Gastspiel des Werksorchesters organisieren können.

Rund um das Festival ist viel von Vernetzung und Verknüpfung zu lesen. Welche Projekte/ Institutionen haben sich über das Festival hinaus miteinander verknüpft?

Martin: Der Aufbau von nachhaltigen Kooperationen ist langwierig und braucht viel Vertrauen. Insbesondere zwischen einzelnen Künstler/ -innen und lokalen Organisationen sind mittlerweile Verbindungen entstanden, die auch ohne unser Zutun weiterbestehen. So möchte der Künstler Ron Rosenberg beispielsweise, nachdem er im letzten Jahr Schubkarren-Gärten mit Menschen aus Bitterfeld-Wolfen angelegt hat, bald einen Generationengarten in einer Kleingartenparzelle anlegen. Das sind die kleinen Verknüpfungen, die zu etwas Großem heranwachsen können.



Ebenso will das Festival dort etwas aufbauen, wo nach dem Osten viel Kultur verschwunden ist. Gibt es Bestrebungen auch außerhalb des Festivalzyklusses von zwei Jahren aus dem Festival heraus neue Kultur/Angebote in die Region zu bringen?

Anne: Unsere Auftaktveranstaltung „Wiedersehen in Wolfen“ in diesem Jahr ist bereits ein Schritt, nicht nur alle zwei Jahre aufzutauchen und dann wieder zu verschwinden. Sie bildet den Beginn für langfristige künstlerische Projekte wie das der Künstlerin Anke Heelemann, die bis zum nächsten Sommer ein Archiv mit privaten Fotografien aus Bitterfeld-Wolfen aufbauen möchte. Sie und andere Künstler/ -innen werden im Sinne einer Kontinuität in den nächsten Monaten immer wieder vor Ort sein.

Worauf freuen Sie sich am meisten 2023?

Martin & Anne: Wir freuen uns vor allem auf das Wiedersehen mit den Menschen, darauf, intensiv zusammen zu arbeiten und gemeinsam mit den Menschen in und aus Bitterfeld-Wolfen Ideen für ein Festival 2024 zu entwickeln.

Martin: Ganz konkret bin ich gespannt auf den Samstagnachmittag, wenn wir das ehemalige Kino in Wolfen in eine große offene Werkstatt verwandeln und zum Mitmachen bei vielen unterschiedlichen künstlerischen Angeboten einladen.

Anne: Ganz besonders freue ich mich auf die Soundperformance der Künstlerin Maryna Makarenko am Freitagabend, die uns mit in die Geschichte der Svema-Filmfabrik nimmt. Und natürlich auf die Nachtwanderung über das Gelände der ehemaligen Filmfabrik mit Tobias Zielony und ehemaligen Arbeiterinnen der Fabrik!





Teil 4

Worauf freuen Sie sich am meisten in 2024?

Martin: Mit der längeren Vorbereitungszeit können wir das Programm und den Austausch auch internationaler ausrichten. Internationale Künstler/ -innen nach Bitterfeld-Wolfen einzuladen und dann wieder mit den gesammelten Erfahrungen in ihre Heimat zurückkehren zu lassen sowie internationale Erfahrungen und Impulse nach Bitterfeld-Wolfen zu bringen, erhoffe ich mir für alle Akteuer/ -innen als bereichernd. Darauf freue ich mich sehr.

Anne: Im Moment stoßen wir erste Langzeitprojekte an, deren (Zwischen-)Ergebnisse 2024 im Festival präsentiert werden. Ich bin gespannt darauf, was die Kunstschaffenden und lokalen Akteur/ -innen in den nächsten Monaten zusammentragen werden: die Geschichten, Perspektiven und Bilder zum Wandel in der Region. Ganz besonders freue ich mich auf die internationalen Verbindungen von Wolfen in die Ukraine und die USA, die wir dieses Mal in den Blick nehmen.

Liebe Anne, Lieber Martin, vielen Dank für das Gespräch.

Alle Infos zum Festival gibt es hier https://osten-festival.de/